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jürgen höritzsch

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Brigitta Milde zur Eröffnung der Ausstellung "Mysterium" im Gellert-Museum Hainichen
Vorstellung des originalgrafischen Buches LETTERNBRUT durch Hans Brinkmann

Rede zur Eröffnung der Ausstellung TRANCE in der Stadtgalerie Vilshofen

von Hans Brinkmann

Meine Damen und Herren.

Die gute alte Zeit hat kein Datum. Wohlweislich verfährt sie nach dem Rumpelstilzchen-Prinzip, ach, wie gut, dass niemand weiß ... Wenn es heißt, früher sei alles besser gewesen, dann meint dieses "früher" bloß: vor dem Problem, das gerade zum Thema geworden ist, vor der Aktualität; aber wenn wir in eine Zeitmaschine steigen könnten, welches Datum stellten wir dann auf der Armatur ein, um dahin zu gelangen, wo angeblich alles, und wirklich alles, besser gewesen sein soll?

Immer ist das Unheil schon vor uns da. Der Stand der Unschuld ist an den viel berufenen Wurzeln nicht zu finden, eher könnten wir mit Heiner Müller von der "blutigen Wurzel" der Gegenwart sprechen. Die Nostalgie, die in Schutt und Gerümpel der Weltgeschichte nach vermeintlich ewigen Werten gräbt, ist nichts als eine rückwärts gewandte Utopie. Kein Zeitpunkt. Kein konkreter Ort. Nur vage Erinnerung auf einfache Nenner gebracht, geschönt und aller fortwährenden Widersprüche beraubt.

Lieblingsformel dieses Denkens ist die historische Parallele, die den Schnittpunkt der Linien, das Treffen, das Überkreuz von Gegenwart und Vergangenem scheut.

Aber lässt sich die Nostalgie verbieten bzw. lässt sich das Verbot durchsetzen?
Verbieten kann man bekanntlich viel. Natürlich ist das eine rhetorische Frage. Man kann politisch korrekt reden, bis man politisch korrekt fühlt. Man kann auch wissenschaftlich korrekt sein. Aber man kann sich nicht auf Dauer selbst überlisten, auch nicht mittels der List der Vernunft.

Ganz falsch wäre es überdies, dem simplen Gegenteil zur Nostalgie das Wort zu reden: der Überheblichkeit vor der Vergangenheit, als man noch dumm war und nicht so fortschrittlich wie heute ...

Was man tun kann, ist, Korrektive anzubringen, zu zeigen, das man es besser weiß, wissen kann, als man es gemeinhin tut.

Wenn man der Nostalgie das Erinnerungsmonopol bestreiten will, muss man sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen versuchen. Man kann ja gleichziehen. Beispielsweise mit der Waffe des befremdlichen oder gleich des Alp-Traums.

Der so genannte "Traum von einer besseren Welt" ist eine Floskel, die der Praxis des wirklichen Träumens widerspricht. Niemand wacht morgens auf und sagt beim Frühstück: "Liebling, ich habe gerade eben von einer besseren Welt geträumt." Man träumt immer viel vermeintlichen Blödsinn, man wälzt Probleme, man ist beunruhigt, man bearbeitet Unverarbeitetes, wie die Psychologen sagen. Aber in keinem Traumdeutungsbuch wird sich der Eintrag "bessere Welt" finden. Die Realität der Träume sieht anders aus.

Wissen wir alles, werden Sie sagen und mich fragen, ob ich das Programm des Surrealismus noch mal aufkochen will. Ein flüchtiger Blick über die hier ausgestellten Arbeiten könnte das nahe legen. Zum flüchtigen Schauen sind wir aber nicht hier. Davor bewahrt uns die Autorität der malerischen und grafischen Techniken, das handwerkliche Geschick, die aufgewandte Mühe legt uns genaueres Hinsehen nahe. Darauf kann sich der Künstler verlassen; dass seine malerischen Mischtechniken und die Qualität der Radierungen eine Aura der Ernsthaftigkeit suggerieren, die das Auge anders fordert, als es die Sujets auf den ersten Blick tun.

Höritzsch ist 1958 in Chemnitz geboren. Seine Arbeiten scheinen mitunter in die Zeit der Groß- und Urgroßvätergeneration zurückzuschalten. In seinem Künstlerbuch TRANCE, das den Schwerpunkt der aktuellen Ausstellung bildet, stellt er neun Fragmenten expressionistischer Lyrik neun druckgrafische Blätter gegenüber. Aber die Radierungen versuchen nicht, den Stil expressionistischer Kunst aufzunehmen, auch nicht in Form einer Weiterführung oder Parodie. Das wird ja oft von Verlagen versucht; expressionistische Lyrik an expressionistische Kunst anzubinden, als könne man das eine nur mithilfe des anderen verstehen, oder eben gerade nicht des anderen: jeden Ismus immer nur mithilfe desselben Ismus.

Das ist aber ein Irrtum. Man geht ja zum Lesen eines Gottfried-Benn-Gedichts heute nicht ins Museum. Man kann das tun, aber man muss nicht.

Die expressionistische Lyrik war, das macht ihre Qualität aus, mehr als ein aktualitäts-bezogener Aufschrei, den die Zeitgenossen in ihr sehen mussten und wollten. Seitdem sind allerhand Jahre ins Land gegangen. Die Haltbarkeit der Verse über Zeitläufte hinweg, von denen die Verfasser nichts ahnen konnten, ist beim heutigen Lesen mitzubedenken.

Höritzsch tut dies, indem er den Montagecharakter vieler Gedichte durch Zitate historischer Abbildungen aus dem Internet nachvollzieht. Er bedient sich der surrealen Methode, die heute gleichermaßen historisch geworden ist, wie sie den Medienalltag erobert hat. Wir erleben ja heute nicht nur andauernd Realsatire und Realgroteske, für die ich aktuell gewiss kein Beispiel geben muss, wir erleben auch den realen Surrealismus und den realen Dadaismus, den realen Tagtraum.

Wie ich vorhin von der Autorität des Handwerklichen sprach, müssen wir auch von der Autorität der Medien sprechen, der man sich schwer entziehen kann. Ein bissel Ehrfurcht bleibt immer. Ein Rest Glaubwürdigkeit überlebt alle Zweifel am Fernsehen, am Internet oder an der Zeitung, am Buch. Die Bilder sind doch authentisch, oder?

Selbst die nachgestellten. Oder?

Wo ist das alles hergekommen? Woher haben wir's genommen? Aus welchem Fundus?

Von den geträumten Bildern wissen wir wenigstens, dass wir sie geträumt haben?

Es hat uns von ihnen geträumt.

Was hat das alles zu bedeuten?

Es fällt auf, das Jürgen Höritzsch in seinen historischen Rückblenden weniger die unfassbaren Verbrechen der totalitären Regimes des vergangenen Jahrhunderts in den Blick nimmt, als vielmehr die soziale Seite, die Versprechungen und Rituale; nicht den Ausnahmezustand, sondern die Regel.

Das hat sicher auch mit der Realität des Neonazitums heute - nicht nur in Ostdeutschland - zu tun. Der gegenwärtige Rechtsradikalismus gibt sich ja hauptsächlich sozial und alltagsbezogen, während er um die Verbrechen der Jahre 33 bis 45 eine zynische Ambivalenz entfaltet. Einmal werden sie geleugnet, dann wieder gerühmt; heimlich sind sie das Ersehnte, während man sich offiziell halbherzig distanziert.

Dass angesichts dessen mit eindimensionaler Propagandakunst wenig auszurichten wäre, versteht sich von selbst.

Jürgen Höritzsch führt uns in die Welt der Schrecken hinein, er führt aber auch die Lächerlichkeit der faschistischen Wunschmaschine vor Augen. Es gibt ein Aufwachen aus dem Alptraum. Und es gibt einen Hoffnungsträger in Höritzsch's Kunst. Einen seltsamen Attraktor.

Wer wie ich mit der Arbeit von Jürgen Höritzsch lange vertraut ist, wird ihn einen alten Bekannten nennen dürfen. Sie, meine Damen und Herren, sehen ihn auf zahlreichen Bildern. Der Künstler selbst nennt ihn kein Symbol, sondern schlicht: einen Sympathieträger. Es ist der Hase. Ein, wie gesagt, altes Motiv.

In den achtziger Jahren gab Jürgen Höritzsch sogar einen Almanach mit Grafik und Texten, dieses Titels mit heraus. Ach, wie gern würden wir jetzt über die Bedeutung des hoppelnden Gesellen schwadronieren. Vom Fruchtbarkeitsgeist über Albrecht Dürer bis zu Beuys, der dem toten Hasen die Bilder erklärt, wäre da für den Interpreten viel zu holen.

Ich will aber an die Deutung als Sympathieträger anschließen und auch an den Ernst der Bilder, wenn ich hier zuletzt nur das deutsche Volkslied "Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal" zitiere, das man auch in Adornos "Minima Moralia" angesprochen findet, als ein Lied mit dem er, Adorno, immer glücklich gewesen sei, die letzte Strophe, nachdem der Jäger die beiden Hasen geschossen hat: "... und sie sich besannen, dass sie noch am Leben, Leben warn, liefen sie von dannen." - In der Hoffnung, dass Sie, meine Damen und Herren, uns nicht gleich von dannen laufen werden, möchte ich Jürgen Höritzsch zu dieser Ausstellung gratulieren und der Galerie im Turm für die Möglichkeit, hier präsent zu sein, danken.


Hans Brinkmann