Die Kaltnadelradierung

Die Kaltnadelradierung

Die Bezeichnung "Kaltnadel" entstand aus dem Unterschied zu den üblichen Radierverfahren, daß die Vertiefungen auf der Druckplatte rein mechanisch, nur mit einem harten, spitzen Werkzeug (meist der Radiernadel) erzeugt werden. Es findet also keinerlei chemische Reaktion statt, wie bei den "warmen" oder "nassen" Verfahren. Die Besonderheit dieser Technik besteht in der Möglichkeit zum schnellen, spontanen, unmittelbaren Arbeiten, auch außerhalb von Atelier oder Werkstatt. Um eine kräftige Durchzeichnung des Motivs auf der Druckplatte zu erreichen, ist relativ viel physische Kraft bei der Arbeit notwendig. Die Linienführung wirkt deshalb meist etwas eckig und spröde im Vergleich zur geätzten Radierung. Ein wichtiges Merkmal und Gestaltungsmittel ist der weich wirkende, mehr oder minder breite Schatten an den Linien, welcher durch den entstandenen Grat erzeugt wird, an dem die Druckfarbe beim Auswischen vor dem Druck stehen bleibt.
Weil der Grat durch die mechanische Belastung während des Druckvorganges stark beansprucht wird und sich dabei abnutzt, sind im Tiefdruckverfahren in Abhängigkeit vom verwendeten Material nur wenige gute Abzüge von einer Platte möglich.

In früheren Zeiten wurde das Kaltnadelverfahren hauptsächlich zur Korrektur geätzter Platten angewandt, obwohl es gelegentlich auch als alleiniges Gestaltungsmittel eingesetzt wurde (z. B. von Rembrandt in dessen Spätwerk). Etwa seit dem frühen 20. Jahrhundert, mit der Bewegung des Expressionismus, hat es sich als eigenständiges Tiefdruckverfahren für eine breitere Künstlerschaft etabliert. Wichtige Blätter entstanden z.B. von Paul Klee, Max Beckmann und Otto Dix.

Durch die Unabhängigkeit von chemischen Eigenschaften ist es auch möglich, Kunststoff als Trägermaterial für die Plattenherstellung zu verwenden. Dessen Transparenz ermöglicht es z. B. eine Vorzeichnung unter die Platte zu legen, um danach das Motiv zu stechen. Allerdings wird durch die relative Weichheit des Materials die Anzahl möglicher guter Abzüge pro Platte weiter vermindert.

Der Anfänger auf dem Gebiet der Tiefdrucktechnik wird seine ersten Schritte in aller Regel im Kaltnadelverfahren gehen, wie bereits erwähnt ist diese Technik aber keineswegs vorrangig auf diesen Kreis beschränkt.

Beispiel einer Kaltnadelradierung
"Übung im Nahkampf" Kaltnadelradierung von Jürgen Höritzsch, 1987